Gefangen!
Gefangen! | |
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Geschichte | |
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Errata: | - |
Mitwirkende | |
Autoren: | André Schunk |
Illustrationen: | - |
Aventurische Informationen | |
Aventurisches Datum: | PRA 1023 BF |
Ort: | Thorwal |
Verfügbarkeit | |
Erscheinungsdatum: | Mai 2001 |
Erschienen bei: | Thorwal Standard 15 |
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Kälte.
Eine feuchte, durchdringende Kälte.
Dunkelheit. Und dann dringt der Geruch von Moder und Abfällen nein - Fäkalien in die Nase.
Plötzlich formt sich ein Gedanke: Bei Hrangars verfluchter Brut, wo bin ich?
Doch der Moment des Unwissens ist - leider - viel zu kurz.
Gefangen. Sie hatten ihn geschnappt. Dabei war er nur noch zweihundert Meter vom Strand entfernt, als ihn der Armbrustbolzen des Zweililiengardisten traf. Er sah gerade noch, wie das Boot ablegte, bevor sich sein Blick vernebelte und er in Borons Traumreich wechselte.
Obwohl er mittlerweile schon über drei Wochen hier ist, ist ihm der Tag des Überfalls noch so klar im Gedächtnis, als ob es gestern gewesen wäre. Der Kampfeslärm, das Geschrei der Bürger (und einiger Gardisten), brennende Häuser und mittendrin stürmten wie ein Pflug des Todes die Schar der Thorwaler Krieger und Kriegerinnen durch die Straßen und Gäßchen Alt-Grangors. Doch dann wurden sie immer stärker von den Gardisten Herzog Cusimos bedrängt. Schließlich mußten sie sich vor der Übermacht zurückziehen. Doch nur einige Dutzend Nordländer entkamen. Etwa eine Handvoll wurde gefangen, wie er. Die meisten jedoch lagen tot am Strand, in den Gassen oder auf dem Grund der Bucht von Grangor.
Nun liegt er hier allein in seiner Zelle. Naja, fast allein. Ein paar Ratten sind auch noch da. Doch hier im Stadtgefängniss auf der Insel Kopp hat er die Zelle für sich. Die anderen Thorwaler sind schon abgeurteilt, einige wurden gleich drei Tage nach dem Überfall gehängt, die anderen wurden zur Zwangsarbeit in die Goldfelsen geschickt.
Nur ihn hat man bisher noch nicht vor das Grangorer Stadtgericht geführt.
Sie hatten wohl gedacht, daß er an der Verletzung sterben würde, so wie Askir. Der hatte einen Treffer an der Schulter abbekommen, eigentlich nicht weiter schlimm, nicht für Askir, aber das Wundfieber hatte den armen schließlich dahingerafft. Aber er hatte es geschafft. Sicher, völlig hergestellt war er noch nicht, sein Bein schmerzt noch immer - aber er kann es wieder belasten ohne gleich nach ein paar Schritten einzuknicken.
Da - ein Geräusch. Ein Schlüssel dreht sich im Schloß. Das Gestampfe von eisenbeschlagenen Stiefeln auf den Steinstufen, die in den Zellentrakt des Stadtgefängnisses herunterführen. Kommen sie, um ihn zu holen? Tja, so soll es dann wohl enden - im Stadtgefängnis von Grangor, am Galgen. Oder schicken sie ihn auch zum Steinekloppen in die Goldfelsen? Wohl kaum, sein Bein ist ja noch nicht ganz hergestellt. Zum Durchfüttern schicken sie ihn sicher nicht ins Straflager.
Die Schritte kommen immer näher. Doch was ist das: ein schleifendes Geräusch mischt sich zwischen die stampfenden Tritte der Stiefel. Zum Überlegen bleibt ihm jedoch keine Zeit. Schon wird der Schlüssel in das schwere Schloß der Massiven Holztür gesteckt. Unter metallischem Klicken dreht er sich und die Tür wird aufgestoßen.
„Gesellschaft für dich! Aber gewöhn dich nicht zu sehr an ihn, morgen wirst du dem Stadtrichter vorgeführt!“
Ein großes Bündel wird von zwei Zweililiengardisten hinein gestoßen. Dumpf schlägt es auf den feuchten Kellerboden auf, ein bewußtloser Körper, wie er feststellt, Schon schließt sich die Tür wieder und die Gardisten entfernen sich.
Still mustert er den Neuankömmling. Ein Mann, nicht besonders groß. Er hat langes, hellbraunes Haar und trägt einen Spitzbart. Seine Kleidung ist ganz nach Art der Horasier, jedoch hat sie schon bessere Zeiten gesehen, wie ihr Träger. Ein zerschlissenes Seidenhemd mit Rüschenkragen, abgetragene, verdreckte Leinenhosen und ausgelatschte Stulpenstiefel.
Morgen also ist seine Verhandlung. Und dann kommt auch bald das Ende. Wut kommt in ihm auf. Wut, daß er machtlos hier in der Zelle sitzt und nichts machen kann. Oh, wäre er doch nur im Kampf gestorben. Aber nicht baumelnd an einem Galgen, wo sich dann auch noch diese feigen horasischen Krämer am Hinrichtungsspektakel weiden. Voller Zorn springt er auf und hämmert gegen die Tür. Er schreit. Es ist ein tiefer, fast animalischer Laut, der aus seiner Kehle dringt und seiner Wut Ausdruck verleiht.
„Ruhe da unten!“ dröhnt es von der Wache hinab. Er setzt sich wieder hin. Seine Wut verfliegt langsam und weicht Resignation.
Die folgenden Stunden verbringt er, in dem er vor sich hingrübelt und den Neuen anstarrt.
Als dieser dann die Augen aufschlägt, sieht er ihm das Erstaunen an.
„Ein Barbar aus dem Norden, interessante Zellengenossen hat man hier.“ bemerkt der noch immer am Boden liegende mit brummendem Kopf.
Wäre er nicht so in Gedanken versunken, hätte er dem Erwachten schon eine gelangt. Seiner gewählten Aussprache nach stammt er von hier. Nun, ob aus Grangor kann er natürlich nicht sagen, aber zumindest aus dem Lieblichen Feld, das wohl. Aber wie ein Edelmann oder ein wohlhabender Händler sieht er nicht aus. Eher wie ein Herumtreiber.
„Darf ich mich Euch vorstellen? Andrea Tarduno, zu Euren Diensten, starker Herr aus dem Norden. Wenn Ihr Dinge dringend braucht, die bei jemand andern nicht so gut aufgehoben sind, wendet Euch vertrauensvoll an mich.“ Verschmitzt blinzelt der Horasier ihm zu, bevor er fortfährt: „Doch der Besitzer eines Vinsalter Eis hatte beschlossen, sich noch nicht von ihm zu trennen und die Büttel gerufen. Dich haben sie wohl beim großen Angriff geschnappt. Dachte, man hätte euch aufgeknüpft oder in die Goldfelsen transportiert. Warum bist du noch hier?“
Er erzählt Andrea von seiner Verletzung und daß sie wohl dachten, er stürbe. „So wie die Stimmung in der Stadt ist, werden sie dich wohl hängen. Für die Opfer wollen sie Vergeltung. Jetzt, wo du wieder gesund bist, werden sie dir wohl bald den Prozeß machen“ mutmaßt der Streuner. „Morgen", erwidert er teilnahmslos. - "Dann verabschiede ich mich schon heute von dir. Ich habe nicht vor, für länger hier zu bleiben."
Der Streuner mußt wohl das Aufglühen in den Augen des Kriegers gesehen haben, denn er fügt schnell hinzu: „Wenn dein Bein gesund ist, kannst du gern mitkommen. Aber ich kann keinen Ballast gebrauchen. Zum Tragen bist du mir zu schwer." Das Aufflammen der Augen kommt von der neuen Hoffnung. Flucht! Das hielt er für ausgeschlossen. Er hatte sich damit abgefunden, von den Horasiern aufgeknüpft zu werden.
„Und? Du wirst meine Einladung doch nicht ausschlagen. Dann hilf mir.“
Zusammen nahmen sie die hölzernen Gestelle der Pritschen auseinander. Der Streuner machte zwei Haufen, einen großen und einen kleineren.
Aus seinem Stiefel zückte der Liebfelder einen kleinen Feuerstein und zündete damit den kleineren Haufen an. „Du mußt die erste Wache stumm machen, ich übernehme dann die zweite" gibt Andrea dem Thorwaler Anweisung.
Er wartet noch bis das Feuer stark raucht und schreit dann „Wache! Wache!“
Man hört, wie sich die obere Tür öffnet: „Schreit hier nicht so rum!“ raunt ein Gardist von oben. „Kommt schnell, hier stimmt etwas nicht!“ antwortet der Streuner. Unter mürrischem Grunzen stapft der Wächter die Steinstufen hinab. Als er vor der Tür steht, brüllt Andrea „Feuer!“ Er sieht den Rauch und ruft seinen Kollegen: „He Nepo bring einen Eimer, hier qualmt was!“ Sogleich sperrt der Gardist die Eichentüre auf und betritt die Zelle. Da kracht auch schon die mächtige Faust des Thorwalers wie Ingerimms Hammer. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben sackt der Wachposten zusammen. Der Streuner zieht dem Bewußtlosen den Dolch aus dem Gürtel, springt in den Gang und schleudert diesen mit einer fließenden Handbewegung nach vorne. Dumpf schlägt der Eimer auf den Boden, ein kurzes Röcheln und dann Stille. Der Dolch steckt mitten in der Kehle des Mannes. „Volltreffer!“ lobt der Thorwaler Andrea. „Danke.“ Der Liebfelder ist schon wieder in der Zelle, steckt den zweiten Haufen in Brand und zieht sich den Überwurf und den Helm des bewußtlosen Wächters an. „Schmeiß den Toten hier rein und dann nichts wie weg!“
Als sie die Treppe hoch eilen, hören sie Schritte. „Schnell! Hier in die Wachkammer!“ Die kleine Kammer der diensttuenden Wächter liegt am oberen Ende der Treppe. Der Thorwaler versteckt sich hinter der Tür. Die Schritte stammen von einem weiteren Gardisten, der gerade den Gang entlang kommt. „Was ist hier los?“ will er wissen. In der Uniform des Wächters entgegnet ihm Andrea: „In einer Zelle brennt´s. Nepo ist schon unten. Hol die anderen zum Löschen. Ich helfe unten.“ Der Gardist macht sofort kehrt und rennt nach oben. Der Streuner nimmt noch schnell eine Lampe, die den kleinen Raum beleuchtet und schmeißt sie auf eine Pritsche in der Ecke. „Jetzt aber raus hier.
Beinahe werden die beiden Ausbrecher von einer Patrouille entdeckt, die gerade um die Ecke biegt. Sie können sich gerade noch in einem Hauseingang verstecken. „Folge mir!“ Nachdem die Stadtgardisten außer Sicht sind, lotst der Streuner sie gekonnt durch die verwinkelten Gäßchen der Insel. Aus einiger Entfernung hören sie den Lärm aus dem Stadtgefängnis. Doch noch haben die Wächter nur das Feuer und nicht das Fehlen der Gefangenen bemerkt. Sie laufen zum Westufer des Grangorer Stadtteils. Der Thorwaler hat Mühe mit seinem verletzten Bein dem flinken Streuner zu folgen. Ihre Flucht geht weiter durch schmale Durchgänge, vorbei an den Häusern der Händler und Handwerker. Über einen Platz, nach links durch den nächsten Durchgang, um die nächste Ecke und schon teilen sich die Häuserfronten und geben den Blick auf die Grangorer Bucht frei.
„Jetzt heißt es Schwimmen!“ weist ihn der Liebfelder an, als sie das Ufer erreichen. Da er ein ausgezeichneter Schwimmer ist, machen ihm die 200 Schritt, die Kopp und Traviastrand trennen, nichts aus, trotz seines Beins. Andrea hat wesentlich mehr Mühe. Sie hören aus der Ferne immer noch den Aufruhr, den ihr Feuer verbreitet hat, während sie durch das dunkle kalte Wasser gleiten. Triefend erklimmen sie die vorgelagerte Lagune von Traviastrand. „Was nun?“ fragt der Thorwaler. „Dort vorne ist die Stadtwerft, da liegen auch kleinere Boote vertäut.“ Mittlerweile ist ihr Ausbruch anscheinend bemerkt worden, denn es dringen Alarmschreie zu ihnen herüber. Vom Feuer ist auch nichts mehr zu sehen. Doch die beiden Ausbrecher sind schon bei der Werft angelangt. Schnell ist eine kleine fahrtüchtige Jolle ausfindig gemacht. Während der Horasier das Haltetau des Bootes löst, setzt sich der Nordmann an die Ruder. Mit kräftigen Zügen treibt er das Boot auf das offene Meer hinaus. Von den Schreien aus der Stadt alarmiert, herrscht nun auch auf der Hafenfestung Grangorella helle Aufregung. Doch während die Geschützmannschaften und Aussichtsposten die Hafeneinfahrt im Visier haben und den Horizont nach Drachenbooten absuchen, weil sie einen erneuten Angriff der Thorwaler befürchten, verschwindet eine kleine Jolle im Schutze der Lagune im Morgennebel.