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Aktuelle Version vom 4. Juli 2009, 18:11 Uhr
Geschützbau in Thorwal
von Volkmar Rösner
Inhaltsverzeichnis
Historisches
Die Geschichte des thorwalschen Geschützbaues ist keine besonders lange und spektakuläre. Zwar wurde in den vergangenen 800 Jahren immer mal wieder das eine oder andere Geschütz unterschiedlichsten Types erbeutet, doch entsprach ihr Einsatz nie der eigentlichen Kampfesweise der Thorwaler, die schon immer das persönliche Kräftemessen im Nahkampf bevorzugten.
An dieser Kampfesweise hat sich letztendlich in den vergangenen Jahrhunderten nie etwas ändern müssen, da auch auf den Schiffen möglicher Gegner bzw. Opfer relativ wenig schwere Fernwaffen installiert waren, die ein größeres Umdenken im Seegefecht erfordert hätten. Schiffe mit einzelnen Geschützen ließen sich aus dem toten Winkel her anlaufen, oder man schaffte es, die Besatzung zu überraschen. Schwieriger wurde es da schon bei den Befestigungen der Städte. So galt Chorhop vor über hundert Jahren mit seinen beiden die Hafeneinfahrt flankierenden Batterietürmen, auf denen je zehn Böcke und sechs Rotzen untergebracht waren, als eine der stärksten Hafenbefestigungen Aventuriens, was aber Hetmann Hyggelik den Großen nicht davon abhielt, mit seinen sechs Ottas außer Sichtweite anzulanden und die Stadt von Land her zu nehmen. Ein weiterer Beweis für die Thorwaler, daß ihre Taktik dem Einsatz von Geschützen gleichwertig gegenüberstand.
In den letzten Jahrzehnten jedoch machte der Kriegsschiffbau einige für Thorwaler unerfreuliche Fortschritte und vor allem auch das Wettrüsten zwischen Mittelreich und Lieblichem Feld führte nicht nur zu einem quantitativen Sprung bei den Geschützen, sondern auch einem qualitativen in der Munitionstechnik. Der taktische Einsatz von mit Hylailer Feuer gefüllten Brandgeschossen hob den Fernkampf auf eine völlig neue Ebene.
Auch erhöhten Schiffsneubauten wie die neuen horasischen Schivonen und Karracken mit ihren starken Breitseiten die allgemeine Feuerkraft, so daß, um ein Beispiel aus jüngster Zeit aufzuzeigen, die horasische Flottille von Admiral Rubec von Chetobah mit ihren gerade mal sieben Schiffen bei der Bombardierung Thorwals immerhin mehr als einhundert Geschütze verschiedener Gewichtsklassen zur Verfügung hatte, um innerhalb einer Stunde die halbe Stadt in Schutt und Asche zu legen.
Die Munition mit dem Salamanderfeuer, wie es auch genannt wird, ist zwar recht teuer, aber dafür im Einsatz auch geradezu gnadenlos effizient!
Diese Entwicklung wurde in den vergangenen Jahrzehnten von vielen weitsichtigen Hetleuten und Kapitänen mit Sorge verfolgt, doch sah man sich außerstande, mit alten Traditionen zu brechen, um eine vollständige Wendung im thorwalschen Schiffbau herbeizuführen. Zu ungewohnt und eng sind die südlichen Neubauten und zu viel Vorteile bieten immer noch die althergebrachten Schiffstypen. Und zur Not gab es ja immer noch den Erbfeind: die Sklavenhalterstaaten im tiefen Süden, die traditionell immer noch im großen Umfang ihre von Sklaven geruderten Galeeren einsetzen, gegen die man auch weiterhin mit einer Otta einigermaßen im Rennen bleiben konnte.
So wurden zwar schon über achtzig Jahren in der Kriegerakademie der Stadt Thorwal auf dem Alten Ugdalf vom früheren zwergischen Leiter der Akademie Meister Dramosch und seinen Geschützführern auch Kämpfer an relativ modernen Beutegeschützen ausgebildet, doch selten einmal konnten diese ihre erworbenen Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Meistens wurden und werden immer noch auf Drachenschiffen, wenn überhaupt, Aale zum Einsatz gebracht. Torsionsschleudergeschütze, die im Gegensatz zu den Rotzen keine Vollgeschoß-Kugeln oder Gefäße mit Hylailer Feuer verschießen, sondern gewaltige Speere, die z.B. wie Harpunen in die Schiffswandungen gegnerischer Schiffe geschossen werden, um sie dann zum Entern heranzuziehen, oder die mit großen Sichelklingen an der Spitze versehen sind, um die gegnerische Takelage zu zerstören.
Während unter der Obersten Hetfrau Garhelt diese Problematik nur geringe eine Priorität hatten, da Garhelt eine friedensorientierte Politik gegenüber den beiden großen Reichen verfolgte, hatte ihr ehrgeiziger Sohn Tronde immer die Vereinigung aller Thorwaler zu einem starken Staatsgebilde vor Augen, das jederzeit gezwungen sein kann, seine Stärke zur See auch unter Beweis stellen zu müssen.
Deswegen forcierte Tronde auch die Entwicklung neuer Schiffstypen, die mehr Geschütze tragen können.
Zur Geschichte von Thiesson & Grupp
Kurz nachdem Tronde zum Nachfolger seiner verstorbenen Mutter gewählt wurde, übernahm ein Grüppchen Thorwaler Zwerge auf der im Golf von Prem gelegenen Insel Hjalland eine alte Erzmine. Zu dieser Zeit hatten die Bewohner der nördlichen Golfküste arge Probleme mit den friedlosen Piraten, die sich im Küstenstädtchen Daspota festgesetzt hatten. Auch Hjalland mußte sich vor regelmäßigen Überfällen in Acht nehmen und Verteidigungsmaßnahmen gegen die Piraten ergreifen. Da traf es sich natürlich gut, daß sich unter den ansässigen Zwergen ein ehemaliger Geschützmeister der Thorwaler Kriegerakademie namens Grupp Sohn des Gonzo befand, der eigentlich von den blasierten Großlingen, die sich partout nicht für Geschütze begeistern konnten, die Nase gestrichen voll hatte und sich lieber wieder so interessanten Tätigkeiten wie dem Erzbergbau widmen wollte. Hier traf er nun aber endlich auf Schüler, die seine Erfahrungen dankbar aufnahmen, weil sie ihre Notwendigkeit klar vor Augen hatten.
Und hier traf er auch auf den Zimmermann Thinmar Thiesson, der schon immer gerne an mechanischen Spielereien gebastelt hatte.
So begann eine Freundschaft Gleichgesinnter, die zum ersten organisierten Geschützbau in Thorwal führte: den Geschützwerkstätten von Thiesson & Grupp.
Zur Entwicklung der Geschütze
Obwohl wenn man auf einen ziemlich umfassenden Erfahrungsschatz zurückgreifen kann, verlief die Entwicklung des eigenen Geschützbaues in den letzten zehn Jahren nicht ohne Rückschläge, aus denen man aber auch seine Lehren ziehen konnte. In einigen Bereichen mußte man allerdings Neuland beschreiten, da man, was z.B. die Witterungsfestigkeit anbelangt, im hohen Norden ständig vor neuen Problemen stand und teilweise noch steht, die den Südländern mit ihrem viel milderen Klima bisher kaum bekannt sind und daher auch keine Beachtung gefunden haben, wie man deutlich an den Beutegeschützen selbst jüngst bei der Karavelle Phecadistern erkennen konnte.
Eines der geringsten Probleme war die Fertigung der stabilen Holzrahmenkonstruktion, denn Steineiche und andere Harthölzer stehen ausreichend zur Verfügung. Allerdings werden die Bauteile ebenso wenig wie im traditionellen Schiffbau ausgesägt, sondern gespalten und geglättet. Dadurch, daß man mit den Holzfasern geht, kann das Holz gleichmäßiger durchtrocknen und es verzieht sich später kaum, was sich positiv auf die Trefferleistung auswirkt. Verbunden werden die einzelnen Bauteile bevorzugt durch Holzzapfen, sowie Nägel und Krampen aus Bronze.
Eisen bzw. Stahl findet bei den Mechaniken nur in den Bereichen Verwendung, wo eine hohe Zugfestigkeit gefordert ist und wo man auch relativ leicht zum Reinigen herankommt. Also besonders im Bereich des Schlosses und der Spannmechanik. Die restlichen Metallteile werden ausschließlich aus Bronze gefertigt.
Diese Technik, die man erst als südländische Spielerei abtat, offenbarte bald ihren Sinn, als die ersten Geschütze längere Zeit auf See dem aggressiven Salzwasser ausgesetzt waren und schnell zu rosten anfingen und in Folge blockierten. Inzwischen werden die bronzenen Gleitklauen des Geschoßschlittens noch mit einer Lage Blei ausgekleidet, was durch seine „selbstschmierende“ Wirkung zusätzlich zur dicken Fettschicht für ein reibungsloses Gleiten des Schlittens sorgt und die Gefahr von Ladehemmungen herabsetzt.
Das nächste Problem ergab sich bei den Torsionspacken, die aus einem oder mehreren zu dicken Bündeln gerollten Seilen bestehen, die mit einer gewissen Vorspannung in den Rahmen eingesetzt werden, um dann durch das Nachhintenziehen der Wurfschenkel die nötige Kraft zu speichern, die benötigt wird, um ein bis zu zwölfeinhalb Stein schweres Geschoß zielgenau über eine halbe Meile weit zu werfen.
Normales Tauwerk scheidet dafür aus, da es einfach nicht elastisch genug ist, um sich dermaßen spannen zu lassen. Es wäre beim Segeln auch lebensgefährlich, wenn das bewegliche Gut nicht richtig gesichert werden könnte.
So mußte man sich bei den Beutegeschützen mit den ab und zu erbeuteten Seilen südlicher Machart zufrieden geben, weil man auch nicht so ohne weiteres in Albernia vierhundert Schritt geeignetes Tauwerk bestellen konnte. Meist war nur minderwertiges Material zu bekommen, da man den Nordländern nicht auch noch die Waffen liefern wollte, mit denen man dann später überfallen wurde.
Eine Untersuchung der Torsionsseile ergab, daß die Seele vor allem aus langem Haar sowie aus Haut oder Därmen besteht, wobei sich die einzelnen Seelenstränge stets abwechseln, damit sich das Haar nicht verfilzt und Knoten bildet, die die Struktur des Seiles schwächen und unter Belastung zum Reißen bringen könnten.
Die Beschaffung dieser Materialien ist auf der vornehmlich an Land- und Viehwirtschaft orientierten Insel Hjalland zum Glück kein großes Problem, Verwendung findet u.a. die Wolle der langhaarigen Premer Mähnenschafe, Pferde- und Mammuthaare sowie Darm und Streifen von hochfest gegerbter Seetigerhaut.
Nachdem man gerade in Nordthorwal darauf aufmerksam wurde, daß sich die Seilpacken in den Geschützen bei schwerer See recht schnell mit Wasser vollsaugen und so erheblich an Spannung verlieren, bei Kälte dann sogar noch ganz oder teilweise gefrieren und dadurch in der Regel unbrauchbar werden, werden die fertig gewickelten Packen gut gefettet und mit einer Manschette aus Seetigerhaut umhüllt, die das Fett drin und das Wasser draußen hält. Als ein erfreulicher Nebenaspekt zeigte sich, daß die mit Fett getränkten Seile durch die in den Seilen herabgesetzte Reibung gleichmäßigere Schußbilder liefern und auch wesentlich länger halten.
Die ebenfalls elastischen Wurfschenkel bestehen meist aus Eibe oder Esche und werden ebenfalls nicht gesägt, sondern gespalten.
Übrigens empfiehlt es sich, Wurfschenkel und Torsionspacken nur paarweise auszutauschen, weil sonst durch die ungleichmäßige Belastung das Trefferbild stark leidet.
Die Sehnen der Geschütze, die ja die gesamte Kraft auf das Geschoß übertragen müssen, bestehen aus hochfesten, sorgfältig gegerbten und verdrillten Streifen von Seetigerhaut, die kunstvoll ineinander geflochten werden. Erste Versuche laufen mit in der Drahtzieherei im Thorwaler Eisenhof hergestellten Drahtseilen, doch fehlen noch Erfahrungswerte über die Dicke und den Aufbau der Drahtseile, die öfters noch brechen, wenn sie zu dünn sind, während die zu dicken den Schußablauf behindern.
So hat man hier eine kleine Geschützgeneration geschaffen, die zwar keine außergewöhnlichen Schußeigenschaften im Vergleich zu den modernen Waffen des Mittelreiches und des Horasiates aufweisen, aber ihnen inzwischen von den Schußleistungen her ungefähr ebenbürtig und von der Robustheit in der Bedienung und Wetterfestigkeit in diesen Breiten überlegen sind.
Zukunftsgerichtete Ausbildung
Durch den Krieg mit dem Horasiat erhielt Thiesson und Grupp das erste Mal die Gelegenheit, die Geschütze im größeren Umfang praktisch zu erproben.
Von Tronde mit Weitblick unterstützt, entstand im Süden der Golfinsel Hjalland eine Ottaskin mit einem großen Schießgelände, wo man die Geschütze und Munition nicht nur auf Land, sondern vom Strand aus auch aufs flache Wasser hinaus erproben kann.
Zwischenzeitlich wurde auch die Ausbildung der Geschützbedienungen aus der Thorwaler Kriegerakademie vom Alten Ugdalf hierher verlegt, da nicht nur wegen der Umbaumaßnahmen dort zuwenig Platz herrschte, sondern auch an der vielbefahrenen Bodirmündung stets die Gefahr bestand, beim Probeschießen ein Schiff zu treffen.
Die Ottaskin ist groß genug, um die noch geringe Zahl der Schüler aufzunehmen, doch da sie zum Kummer ihrer zeitweiligen Bewohner meilenweit von den nächsten Ansiedlungen auf der Insel und noch weiter von der einzigen Stadt und ihren Vergnügungen entfernt ist, haben die angehenden Richtschützen der Ottaskin mit einem gewissen Humor den Namen Kummerdorf gegeben.
Die Ausbildung dauert drei Monde und umfaßt alle Funktionen, die ein Richtschütze beherrschen muß:
- Grundkenntnisse über die Geschützmechanik
- Wartung und Pflege
- Durchführen von einfachen Reparaturen
- Lade- und Richttätigkeiten
- Schießdisziplin
- Schießen mit Sondermunition
Bisher fehlte es an Möglichkeiten, das Schießen direkt vom fahrenden Schiff aus üben zu können, da der Aufwand, extra eine Otta mit einem oder maximal einem zweiten Geschütz dafür abzustellen, einfach zu groß ist.
Diesen Sommer wurde in Vidsand endlich die Steenwarpr fertiggestellt, eines der wenigen neuen Schiffe vom Typ Vidsandr. Dieses Schiff verfügt über eine größere Bug- und Heckplattform als üblich und ist eines der ersten, die einen zweiten Mast auf dem Vordeck trägt.
Die Vidsandr können mit bis zu acht Geschützen bestückt werden, um den Geschützkampf von See aus üben zu können. Durch dadurch erhöhten Schwerpunkt und die sehr eingeschränkte Ladekapazität ist das Schulschiff nicht für längere Seefahrten ausgelegt - für den Betrieb im geschützt liegenden Golf von Prem ist es aber ideal. Nichtsdestotrotz hat das Schiff mit einer handverlesenen Mannschaft in der Schlacht vor Dibrek eine erste Bewährungsprobe gegen die horasischen Schiffe bestanden. Aber man wird noch viel lernen müssen.